Alte Gründungen: Mülheim, Sichtigvor, Waldhausen

Kirchspiel Mülheim 2010 – Copyright Kreis Soest

Eine schriftliche Erwähnung findet die Ortschaft Mülheim in einer Urkunde des Kölner Erzbischofs Anno II. Im Jahre 1072 gründete er die Benediktiner Abtei Grafschaft, die für mehrere Jahrhunderte der bedeutendste geistige und wirtschaftliche Mittelpunkt des Sauerlandes werden sollte. Erzbischof Anno II. stattete das Kloster, wie bei solchen Stiftungen üblich, reich aus. Die Benediktinermönche erhielten u.a. 12 Pfarreien und Ortschaften und den Naturalzehnten vieler anderer Orte, zu denen auch Mulnheim (Mülheim) gehörte. Die zehntpflichtigen Dörfer werden in einem Nachtrag in der Urkunde genannt, der allerdings von anderer Hand geschrieben wurde.

Der Münsteraner Archivdirektor Johannes Bauermann hat vor einigen Jahrzehnten die Authentizität der Anno Stiftungsurkunde für das Kloster Grafschaft in Zweifel gezogen.[1] Er kommt durch Schrift- und Textvergleiche zu dem Schluss, dass das Schriftstück keinesfalls zum Zeitpunkt der Klostergründung Grafschaft entstanden ist, sondern möglicherweise um 1124/25. Gleichwohl ist er der Meinung, dass der in der Urkunde genannte klösterliche Ausstattungsbesitz bereits zur Zeit von Bischof Sigewin, 1078 bis 1089 Erzbischof von Köln, vorhanden war.

Die eigentliche Gründung Mülheims ist sicherlich weit vor der Stiftung des Klosters Grafschaft anzusiedeln. Der Name Mülheim deutet auf eine Siedlung mit einer Mühle[2] (am Wasser der Möhne) hin.  Das Ortsnamengrundwort „-hem“ oder  „-heim“ gilt als Kennzeichen einer fränkische Siedlung. So dürfte der Name auf die Zeit der Christianisierung durch Karl den Großen um 800 n. Ch. zurückzuführen sein. Der Hof der Herren zu Molenhem (später Kommende), der Liethof und der Isinghof gelten als der Ursprung Mülheims.

Wallburg auf dem Loermund
Halsgraben mit Kreuzbergkapelle

Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang die Wallburg,  die südlich der Möhne auf dem heutigen Loermund gelegen war und deren Erdwälle heute noch gut sichtbar sind.

Im Jahr 2019 führte der Vereinsring Mülheim-Sichtigvor-Waldhausen die LEADER geförderte Maßnahme „Touristische Erschließung des Loermund, insbesondere für Sehbehinderte“ in enger Verbindung mit dem Amt für Archäologie des LWL in Olpe durch. Unter anderem entstand ein Bronzemodell am Möhnetalradweg, das die Wallburganlage auf dem Loermund abbildet. Im Nachgang hat das Amt für Archäologie Sondengänger beauftragt, die Wallburganlage mit Metalldetektoren intensiv zu untersuchen. Dabei konnten einige Funde aus der Vorrömischen Eisenzeit, ungefähr von 800 v. Chr. bis zur Zeitenwende, geborgen werden.

In der Eisenzeit wurden zahlreiche Befestigungen auf den Bergen des Sauerlandes angelegt. Wer diese Erbauer waren oder wie sie sich nannten, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben. Diese Menschen haben keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen.

Der Archäologe Dr. Manuel Zeiler hat eine eingehende Bewertung der jüngsten Funde durchgeführt und sie wie folgt in den Wissensstand über die Wallburg Loermund eingeordnet.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts fanden erste archäologische Untersuchungen des SGV (unter A. Hartmann, Rüthen) statt. Bei diesen Ausgrabungen fand man Keramikscherben („Mayener Ware“ aus der Eifel), die eindeutig dem 9.  Jahrhundert zuzuordnen sind. Erkundungen und Vermessungen von Archäologen schärften weiter das Bild. Schließlich helfen auch archäologische Untersuchungen an anderen eisenzeitlichen Wallburgen, die Anlage auf dem Loermund zu verstehen.

Die Erbauer wählten in den Jahrhunderten vor Christi Geburt den Loermund als Standort ihrer Befestigung aus, weil er eine gute strategische Position hat, denn er liegt am Übergang des Rheinisch-Westfälischen Schiefergebirges zur landwirtschaftlich attraktiven Niederdeutschen Tiefebene. Eine heute nur noch als Wanderweg (Warsteiner-Weg) genutzte Route führte vom Möhnetal kommend am Berg vorbei über die langgestreckten Höhenrücken des Mittelgebirges und endet im Warsteiner Becken.

Digitales Geländemodell

Übersichtskarte des Loermund auf Grundlage des Digitalen Geländemodells. Hierbei ist das Relief in Grau dargestellt und die Vegetation weggerechnet. Man erkennt den Kreuzweg (weiß gestrichelt), die Kapelle (grün), die Ausgrabungsflächen Anfang des 20. Jahrhunderts (rot, 1-6) (A. Hartmann 1903/06) sowie die verschiedenen Wallkörper (A-E) mit ihren Toren (T1-4). Die Wälle C und D sowie die Tore T3 und T4 sind eisenzeitlich. Der Waldweg W wird allgemein Warsteiner Weg genannt. (Grafik: LWL-Archäologie für Westfalen/M. Zeiler auf Grundlage Geobasisdaten NRW©)

Die eisenzeitliche Befestigung ist heute eine Ruine und besteht aus zahlreichen Wällen. Die Ausgrabungen erbrachten, dass ehemals die Befestigungen eine Konstruktion aus Holz und Erde waren, die den Berg in einem Oval komplett umgaben. Sie können ähnlich ausgesehen haben wie diejenigen auf der Wallburg „In den Gleiern“ bei Balve. Hier wurde die Front der Befestigung mit Holz verschalt und dahinter Erde angeschüttet. Damit das Bauwerk stabiler war, wurden Hölzer auch in die Anschüttung eingerichtet und mit einem Trockenmauerwerk die Front geschützt. Offenbar brannte die Befestigung ab, denn die Ausgrabungen erbrachten Holzkohlen in den Wällen. Danach wurde ein zweiter Befestigungsring in der Eisenzeit erbaut, der aber eine kleinere Fläche als die ältere Phase einnahm.

Rekonstruktionsversuch einer Befestigung

Rekonstruktionsversuch einer Befestigungsphase der Wallburg „In den Gleiern“ bei Balve. Ähnlich können wir uns die Befestigung auf dem Loermund in der Eisenzeit vorstellen. (Grafik: LWL-Archäologie für Westfalen/A. Müller)

Neben handgemachter mittelalterlicher Keramik aus dem Umfeld der heutigen Kapelle liegen einige aussagekräftige Metallfunde aus der Eisenzeit vor. Die zwei bedeutendsten sind Fragmente zweier Schmuckstücke, die ehemals von Frauen getragen wurden.

Zum einen handelt es sich um einen Bronzearmring mit Buckelverzierung (Hohlbuckelarmring) und zum anderen um einen verzierten Halsring (Scheibenhalsring).

Der Hohlbuckelarmring, datiert in das 2. bis 1. Jahrhundert v. Chr., wurde von einem Kunstschmied sehr aufwändig hergestellt, indem die Bronzebuckel auf einem Eisenblechring aufgegossen wurden. Dies ist eine spezielle Fertigungsweise bei Armringen, die eher typisch für das Gebiet Mittelhessens bis zum Siegerland ist.

Bruchstück eines Hohlbuckelarmrings

Bruchstück eines Hohlbuckelarmrings vom Loermund in mehreren Ansichten. Die bronzenen Buckel wurden über einem Eisenblechring gegossen. (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/T. Poggel)

Der Scheibenhalsring ist stärker fragmentiert und datiert in den Zeitraum vom 3.-1. Jahrhundert v. Chr. Die Schmuckeinlage der Scheibe fehlt, sie könnte aus Koralle, Glas oder Bernstein gewesen sein. Das Besondere an dem Ringbruchstück ist, dass Vergleichsstücke nur aus dem Süddeutschen und Schweizer Raum bekannt sind und dass diese aus Gräbern gesellschaftlicher höher gestellter Frauen stammen.

Bruchstück eines bronzenen Scheibenhalsringes

Bruchstück eines bronzenen Scheibenhalsringes vom Loermund in mehreren Ansichten. Die Schmuckscheibe ist verloren und nur noch ihre Hinterfütterung aus Holz erhalten. (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/T. Poggel)

Vergleichsstück keltischer Scheibenhalsring

Vergleichsstück keltischer Scheibenhalsring, Grabbeigabe aus Kehl am Rhein, Durchmesser ca. 15cm, Bronze, Einlegearbeit Koralle (Foto: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg/Manuela Schreiner)

Aber auch Gegenstände der „normalen“ eisenzeitlichen Bevölkerung fanden sich am Loermund. Dazu zählen eine Tüllenhacke sowie ein Tüllenbeil, deren Schäftungen allerdings nicht mehr erhalten sind. Während die Tüllenhacke wichtiges Werkzeug zum Auflockern des Bodens war, ist das Tüllenbeil der eisenzeitliche Vorgänger unserer Axt.

eiserne Tüllenaxt

Drei Ansichten einer eisernen Tüllenaxt vom Loermund. (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/T. Poggel)

eiserne Tüllenhacke

Drei Ansichten einer eisernen Tüllenhacke vom Loermund. (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/T. Poggel)

Wie bei den meisten Wallburgen wurde auch die Anlage auf dem Loermund in verschiedenen Zeitabschnitten genutzt. Eine mittelalterliche Burg (Fachwerk mit Lehmstakenfüllung), deren Kellerreste noch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zu sehen waren, muss in das 12. Jahrhundert datiert werden.

Eine längere durchgehende Bewohnung der Bergnase Loermund ist wohl auszuschließen. Leider existiert keine urkundliche Erwähnung der Befestigungsanlage  Loermund. Das lässt vermuten, dass sie bei der Herausbildung der Landesherrschaften im Mittelalter eine untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte.

Urkunde vom 20. April1266

20. April 1266: Graf Godefridus und Gräfin Alheydis von Arnsberg übertragen für 26  Mark  (= 26 Pfund Silber) das Obereigentum an dem Haupthof zu Mülheim den Brüdern Theodoricus von Vilarich und Bernhard von den Rittern Christi vom Deutschen Haus, den Theodoricus von Volmestein von ihnen zu Lehen hat.

Der Haupthof der Herren von Mulnheim gelangte zu einer besonderen Bedeutung für die Geschichte des Dorfes Mülheim. Er hat vermutlich dort gestanden, wo sich heute die Klosteranlagen befinden. Um 1260 besaß ein Hermann zu Molnhem diesen Hof als Afterlehen. Es wird berichtet, dass er und seine Gemahlin diesen Besitz auf ihren Todesfall den Ordensrittern gestiftet haben. So entstand schon im Jahr 1267 in Mülheim  eine Niederlassung des Deutschen Ordens. Graf Gottfried von Arnsberg übertrug dem Orden das Obereigentum an dem Landgut in Mülheim propietatem curtis in Mulenhem[3] für 26 Mark  (= 26 Pfund Silber) und im Tausch gegen die Überlassung des Obereigentums an einem Hof in Anröchte. Der Ritter Theodoricus von Volmestein verzichtete in einer Urkunde vom 12. November 1267 auf seine Nutzungsrechte an dem Mülheimer Hof zu Gunsten des Ordens.

Urkunde vom 27. November 1267

27. November 1267: Ritter Theodoricus von Volmestein beurkundet, dass Ritter Gotfridus genannt von Meschede keine Rechte an dem Hof zu Mülheim hat, den Ritter Hermann von Mülheim und seine Ehegemahlin nach ihrem Tod dem Deutschen Orden geschenkt haben. Er überträgt alle seine Nutzungsrechte dem Deutschen Orden. Fußnote Urkundenkopie im Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, Kommende Mülheim, Signatur A115u Nr. 2

Es wird vermutet, dass die Ritter von Volmestein ursprünglich nördlich von Soest, Am Hinderking, ansässig gewesen sind, ehe der Erzbischof von Köln sie mit der Burg am Zusammenfluss von Volme und Ruhr belehnte.
Ende des Jahres 1267 konnten schließlich Bruder Bernhard und Bruder Diderich von Vilarich den Hof für ihre Ordensgemeinschaft übernehmen. Von da an war die Geschichte der Menschen unserer näheren Heimat eng verbunden mit der Geschichte, dem Auf und Ab, des Deutschen Ritterordens.
Um diese Zeit bestand schon eine Pfarrei in Mülheim. In ecclesia Mulenhem heißt es in einer Urkunde, die auf die Zeit zwischen 1219 und 1224 zu datieren ist.[4]
Nach der Ankunft der Ordensritter übernahmen Ordenspriester die Aufgaben eines Pfarrers. 1275 erlangte der Deutsche Orden auch das Patronatsrecht, ius patronatus ecclesie Mulenhem, über die Pfarrkirche St. Margaretha. [5]
Mit dem Erwerb des Patronatsrechtes wuchs der anfänglich bescheidene Grundbesitz der Ordensniederlassung, der sogenannten Kommende, beträchtlich. Im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte kamen die Besitzerweiterungen durch Kauf, weniger durch Schenkungen, zustande.
Der Deutsche Ritterorden hatte sich nach den Kreuzzügen ins Heilige Land und nach einer kurzen Niederlassung im Burzenland (Ungarn) der Christianisierung der heidnischen Pruzzen (Preußen) und Liven zugewandt. Der Herzog Konrad von Masowien, das Herzogtum Masowien ist im nördlichen Teil des späteren Königreichs Polen gelegen, beklagte die Einfälle der Pruzzen in sein Herrschaftsgebiet.
Die Gemeinschaft der Brüder vom Deutschen Haus Sankt Marien in Jerusalem widmete sich am Ende des 12. Jahrhunderts  ausschließlich der Pflege kranker Ritter. Diese caritative Grundausrichtung  ging dem Deutschen Orden immer mehr verloren, insbesondere als er den Kampf gegen die Ungläubigen im Baltikum aufnahm. Der mittelalterliche Gedanke der Streitmacht Christi setzte sich durch. Der heilige Georg galt als Schutzpatron des Ordens, er verkörperte den wehrhaften Ritter im Kampf gegen die Ungläubigen.

Wolter von Plettenberg, 1450 - 1535
Kapelle von 1625 in Waldhausen
Das Kirchspiel Mülheim

Neben anderen Kommenden der Ballei Westfalen war es die Kommende Mülheim, die den Kreuzzugsgedanken des Ordens im Osten durch Stellung von Rittern und Geldmitteln unterstützte. Bis ins 16. Jahrhundert blieben die Beziehungen zwischen der Kommende Mülheim und den Ordensniederlassungen im Baltikum erhalten. Ordensmeister Wolter von Plettenberg, der seine Kinderjahre auf der Burg Meyerich bei Welver verbrachte, gehörte zu den herausragenden Ordenspersönlichkeiten im Baltikum. Es ist sein Verdienst, eine Rechtsordnung nach deutschem Vorbild in Livland eingeführt zu haben. Er starb auf der Burg Wenden (heute Cesis in Lettland) im Jahr 1535 in einem Alter von 85 Jahren.

Viele nachgeborene Söhne aus fast allen westfälischen Adelshäusern ließen sich in der Nachfolge des sich herausbildenden Ordensstaates am Ende des Mittelalters in Kurland und Livland nieder. Man sprach vom „überseeischen Westfalen“.

Im Jahre 1554 nahm der Landkomtur der Ordensprovinz Westfalen seinen Sitz in Mülheim. Die Georgskommende Münster und die Kommende Mülheim bildeten fortan eine organisatorische Einheit.

Unter den Vorstehern der Kommende Mülheim, den Komturen, gab es herausragende Persönlichkeiten, deren Wirken bis in die heutige Zeit bedeutsam geblieben ist. Rabanus Dietrich Overlacker ließ die Kommende mit einem steinernen Mauerring versehen und in Waldhausen 1625 eine Kapelle zu Ehren der heiligen Barbara und des heiligen Antonius  errichten. Waldhausen gehörte seit den Anfängen einer Kirche in Mülheim mit zu ihrem Sprengel (Pfarrbezirk) wie auch die Bauerschaft Echelnpöten und die Sennhöfe. Das Dorf Waldhausen wird zusammen mit dem Flurnamen Taubeneiche  1280 im Urkundenbuch des Klosters Oelinghausen (bei Herdringen gelegen) erwähnt: Walthusen prope duuenhec[6]  Während der Name Waldhausen mit „bei den Häusern am Wald“ erklärt wird, findet  sich im Bestimmungswort duve = Taube und dem Grundwort hec = Hecke, Heckentor die Deutung Taubeneiche, wobei die Silbe ek leicht mit dem Wort für Eiche verwechselt und verhochdeutscht werden konnte.[7]
Eine Besiedlung der Flur Duuenhec fand erst nach 1830 statt.

Ebenso zum Kirchspiel  (im Grundwort –spiel verbirgt sich –sprengel )  Mülheim gehört seit je her die Bauerschaft Echelnpöten. Das Schatzungsregister von 1536 nennt Evert Wichelman zu Echelpotten  und Johan von Pommarn zu Echelnpotten[8]

Der ursprüngliche Flurname ist mit dem Grundwort „Teich“ pütte, pute, pot = Pfütze, Sumpf, Pfuhl, feuchte Grube gebildet, das Bestimmungswort entweder mit egel = Egel, Blutegel oder eikel = Eichel. Angesichts des Grundwortes Teich ist die Annahme eines Bestimmungswortes egel = Blut-Egel vielleicht wahrscheinlicher.[9]
Vermutlich ist die geschichtliche Entwicklung Waldhausens nicht linear verlaufen. Große Notzeiten brachten auch für Waldhausen manches Leid mit sich. Der Flurname Hausstedde, etwa 1,5 km nordöstlich vom Dorfmittelpunkt gelegen, kennzeichnet einen aufgegebenen Siedlungsplatz. Waldhausen ist wahrscheinlich nicht lückenlos besiedelt gewesen und verdankt seine Existenz der mehrfachen Neuansiedlung durch die Deutschordensritter.
Der Ort Armenholthausen dagegen fiel am Ende des Mittelalters wüst. Das Walburgisstift zu Meschede besaß das Obereigentum von 2 Kotten in Armenholthausen.

Die  Kommende Mülheim erwarb dort im 15. Jahrhundert mehrere Höfe. Das Stift Geseke hatte Anspruch auf den gesamten Zehnten in Armenholthausen, den es später an die Kommende abtrat. Um 1295 wird Armenholthausen erstmalig aktenkundig curtem in Armenholthusen, 1574 hört man zuletzt von dieser Bauerschaft. Das Benennungsmotiv für arm ist nicht sicher feststellbar. Da die Siedlung aufgegeben wurde, dürften schlechte wirtschaftliche Verhältnisse anzunehmen sein.[10] Die Lage der Wüstung lässt sich zwischen Belecke und Waldhausen am Hartweg vermuten.

Augustin Oswald von Lichtenstein-Karneid
Wilhelm von Plettenberg, Bauherr der Kirche
F.-W. von Fürstenberg, Bauherr des Ordensschlosses

Von besonderer Bedeutsamkeit für das Kirchspiel war das Jahr 1656. Der Hochmeister des Deutschen Ordens in Mergentheim hatte den Landkomtur Ernst Schilder wegen Unregelmäßigkeiten des Amtes enthoben und an seine Stelle in Mülheim Augustin Oswald von Lichtenstein-Karneid eingesetzt. Der neue Landkomtur ordnete die wirtschaftlichen Verhältnisse in Mülheim neu. Für die Hintersassen der Kommende schuf er auf freyem Ordensgrund am Ziegelplatz 6 Wohnplätze.

In einem Notarsinstrument des Kommende Schreibers B.W. Souling werden die ersten Siedler des Ortes Sichtigvor genannt. Es sind: Johan Stainken, Mathias Schellewalth, Schneider Neveling, genannt Elperding, Stephan Paemken, Dietrich im Nesselwinkel und Christoph Schmit.

Diese Besiedlung erfolgte „an der untersten Stelle der heutigen Ortslage“ bei einem Fahrweg zum Wald, der die siegde Four oder sichtre Führ geheißen haben soll (Schoppmeier/Süggeler, Sichtigvor S. 92f.). Mithin lag die Motivierung für den Ortsnamen offensichtlich in der alten Wegführung für die Holzabfuhr, die sich an seichter, niedriger Ortslage befand (Schoppmeier/Süggeler, Sichtigvor S. 93). GW des Namens ist dann -vōr zu mnd. vōr(e) Fuhre; Zufahrt, Durchfahrt, BW ist mnd. sichte, sech Niederung. Anderer Deutungsversuche des Ortsnamens im Sinne eines Satznamens (wie nu sih tich vor!; Schoppmeier/Süggeler, Sichtigvor S. 93; Kraft, Allagen S. 22), einer morastigen Wasserrinne (Jellinghaus, Ortsnamen S. 69) oder einer seichten Furt (Kraft, Allagen S. 22) halten einer sprachlichen Analyse aus dem einen oder anderen Grund (GW oder BW falsch verstanden) nicht stand.[11]

Die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert war die letzte Blütezeit des Deutschen Ordens in Mülheim. Der Landkomtur Franz Wilhelm von Fürstenberg[12] ließ durch den Kapuzinerbruder Ambrosius von Oelde um 1682 ein neues Haupthaus für die Kommende errichten, so wie wir es in seiner beeindruckenden Architektur des westfälischen Frühbarock noch heute kennen. Sein Nachfolger im Amt des Landkomturs Wilhelm von Plettenberg begann 1704 mit dem Bau einer neuen Ordenskirche.[13] Als Architekt dieser Saalkirche im gotisierenden Barock gilt auch der Baumeister Ambrosius von Oelde.[14]

 

St. Margaretha und Kloster Mülheim (Blossey 2008 © Kreis Soest)

Zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Landkommende Mülheim, wie viele andere Kommenden auch, zu einer Versorgungseinrichtung für nachgeborene Söhne des niederen Adels herabgesunken. Als Napoleon 1809 im Zuge der Säkularisation den Deutschorden aufhob, hatte der letzte Komtur von Mülheim, Franz Wenzel von Kaunitz-Rietberg, dort schon gar nicht mehr residiert. Der Deutschordenspriester Johan Joseph Gerard Leers verwaltete die Landkommende Mülheim. Er musste den Besitz an den Kommissar einer hessisch-darmstädtischen Regierung übergeben. Das ehemalige Kommendegut fiel im Jahr 1815 nach dem Wiener Kongress an den preußischen Staat. Es  wechselte  im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehrfach seinen Besitzer.

Das Klostergebäude gelangte später durch eine Stiftung zunächst an die Ordensgemeinschaft der Salesianerinnen und danach an die Olper Franziskanerinnen, während das Landgut an private Besitzer überging. Die Salesianerinnen richteten in Mülheim ein Pensionat für Töchter höherer Stände ein. Im Kulturkampf mussten sie diese Schule aufgeben und sich in den Niederlanden ein neues Betätigungsfeld suchen. Lange unterhielten die Olper Franziskanerinnen in Mülheim eine Haushaltungsschule. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg nahmen sie „Erholungskinder“ auf.  Bis zum Jahr 1994 betreuten sie im Internat „Maria Hilf“ spätausgesiedelte deutschstämmige Kinder aus fast allen osteuropäischen Ländern.

1996 übernahm die Gemeinschaft der Seligpreisungen das Klostergebäude. Diese Gemeinschaft, sie nennt sich auch „Katholischer Verein zur Vertiefung des christlichen Lebens e.V.“, bemühte sich nach inneren Reformen um eine Anerkennung als eine katholische Ordensgemeinschaft. Im Jahr 2007 zählte sie in Mülheim nur noch etwa zehn Mitglieder. Unter der Leitung von Pater Johannes Maria Poblotzki trennte man sich im gleichen Jahr vom Klostergebäude und fand eine neue Unterkunft in Bad Driburg. Seit dieser Zeit steht das Gebäude leer. Eigentümerin ist seit 2020 die Familie Gründer.

Die Museumskettenschmiede

Im 19. Jahrhundert war es für manche Familienväter außerordentlich schwer, das tägliche Brot zu verdienen. Es gab im Kirchspiel nur wenige Erwerbsquellen. Eine allmähliche Besserung trat ein, als um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Industrie Einzug in die vornehmlich landwirtschaftlich geprägten Ortschaften hielt. Das fabrikmäßige Kettenschmieden setzte sich auch nach einem anfänglichen Rückschlag nach und nach durch. Es entstanden außerdem kleine Heimschmieden. Man fertigte in Lohnarbeit leichte Ketten. Um 1910 arbeiteten in Sichtigvor, Mülheim. Taubeneiche und Waldhausen über 200 Kettenschmiede in ihren kleinen Werkstätten.[15]

Der alte Bahnhof Sichtigvor 1935
Die ehemalige Bahntrasse mit Museumswaggons

Die Erschließung des Kirchspiels durch Verkehrswege war eine unabdingbare Voraussetzung für industrielle Ansiedlungen im Möhnetal. Der Bau der „Cobelenz – Mindener Chausee“, die heutige Bundesstraße 55, war bereits 1827 abgeschlossen, die Möhnestraße folgte in der Zeit von 1849 bis 1853. Vorher gab es keinen durchgehenden Weg durchs Möhnetal. Schließlich erfolgte die Trassierung der sogenannten Sekundärbahn von Soest nach Brilon. Am 1.12.1899 fuhr das erste planmäßige Zugpaar durchs Möhnetal. Das Kirchspiel Mülheim hatte endgültig den Anschluss an überregionale Wirtschaftsräume gefunden.
Die Bergnase Loermund hat durch die Jahrhunderte immer wieder eine Faszination auf die Bewohner des Möhnetals ausgeübt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte man diese markante Erhebung neu. 1845 errichteten junge Leute hier einen Kreuzweg. 1865 ersetzte man die Holzkreuze durch Stationen aus Rüthener Sandstein mit gußeisernen Bildtafeln. 1890 wurde die Kreuzbergkapelle errichtet.[16] Der Aachener Architekt Prof. L. Schupmann entwarf ein Werk im Stil der Neogotik.  In der Zeit der Romantik  besann man sich auf die Vorbilder großer Bauepochen früherer Jahrhunderte. Gerade die katholische Kirche bevorzugte in dieser Zeit wieder gotische Stilelemente.

Die Kreuzbergkapelle
Die St. Barbara u. Antonius Kirche
Die Markuskirche

 

Die evangelische Markuskirche an der Möhnestraße in Sichtigvor wurde 1896 auf Iniative des Industriellen Georg Dassel, der in Allagen ein Marmorwerk betrieb, errichtet. Das Grundstück erwarb man  von der Verwaltung der Gräfin von Kielmannsegge auf Haus Cappenberg. Wie bei der Kreuzbergkapelle führte man das Bauwerk im Stil der Neogotik aus.

1923 errichteten die Waldhausener eine neue Kirche.[17] Das war nur durch eine große Opferfreudigkeit der Einwohner  möglich. Die Kapelle von 1625 musste dafür weichen. Seit 1941 ist die Filialgemeinde  Waldhausen selbständige Pfarrvikarie mit eigener Vermögensverwaltung.

 

 

[1] Vgl. Johannes Bauermann, Die Grafschafter Stiftungsurkunden. In: Grafschaft. Beiträge zur Geschichte von Kloster und Dorf. Hg. Von Josef Wiegel. 2. Erweiterte Auflage, Grafschaft-Schanze 1997

[2] Michael Flöer und Claudia Maria Korsmeier: Die Ortsnamen des Kreises Soest, Seite 330, Bielefeld 2009

[3] Urkundenbuch des Deutschen Ordens, Nr. 185

[4] WUB VII, Nr. 1528

[5] Urkundenbuch des Deutschen Ordens, Nr. 231

[6] Urkundenbuch Oelinghausen Nr. 25

[7] Vgl.: Michael Flöer und Claudia Maria Korsmeier: Die Ortsnamen des Kreises Soest, Seite 431, Bielefeld 2009

[8] Schatzungsregister HW1, Seite 109

[9] Vgl.: Michael Flöer und Claudia Maria Korsmeier: Die Ortsnamen des Kreises Soest, Seite 622, Bielefeld 2009

[10] Vgl.: a.a. O. Seiten 35 und 36

[11] Vgl.: Michael Flöer und Claudia Maria Korsmeier: Die Ortsnamen des Kreises Soest, Seite 622, Bielefeld 2009

[12] Vgl.: Arbeitskreis Sichtigvor 2006: Sichtigvorer Geschichten, S.24 ff., Sichtigvor 2006

[13] Vgl.: Kirchengemeine St. Margaretha: St. Margaretha 1707 – 2007, Sichtigvor 2007

[14] Vgl.: Eva-Maria Höper: Ambrosius von Oelde, ein Kapuzinerarchitekt des Frühbarock im Dienste der westfälischen Fürstbischöfe, Dülmen 1990

[15] Vgl.: Arbeitskreis f. Heimatpflege im Kirchspiel Mülheim: W. Hecker, Durch Ketten zum täglich Brot, Sichtigvor 2011

[16] Vgl.: Pfarrgemeinde St. Margaretha: 100 Jahre Kreuzbergkapelle auf dem Loermund (Sichtigvor), 1990

[17] Vgl. Kirchengemeine St. Barbara und St. Antonius Waldhausen: Helmut Fröhlich: St. Barbara und St. Antonius Kirche Waldhausen 1924 – 1999, Waldhausen 1999